Myxococcus xanthus ist Mikrobe des Jahres 2020

17. April 2020

Die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) kürt jedes Jahr ein besonderes Bakterium zur "Mikrobe des Jahres", um auf die Vielfalt der Mikrobenwelt aufmerksam zu machen. In diesem Jahr fiel die Wahl auf das überaus faszinierende Bakterium Myxococcus xanthus. Mit ihm beschäftigt sich unsere Abteilung für Ökophysiologie unter Prof. Lotte Søgaard-Andersen.

Myxobakterien haben eine für Mikroben außergewöhnliche Lebensweise als Überlebensstrategie entwickelt: sie leben in arteigenen Kolonien und interagieren miteinander in jeder Phase ihres Lebenszyklus. Aus diesem Grund bezeichnet man sie oft als „soziale“ Bakterien. Ihr lateinischer Name verrät bereits viel:  die stäbchenförmigen Bakterien produzieren einen Schleim (myxa), der sie als Kolonie zusammenhält; „coccus“ beschreibt ihre kugeligen Myxosporen, und xanthus bezieht sich auf die gelbe Farbe der vegetativen Kolonien und ihrer vielleicht größten Besonderheit, der Fruchtkörper (Abb. 1).

Räuber, Jäger – und Kannibale

M. xanthus lebt im Boden, auf Pflanzenresten und Dung, und bilden dort räuberische Schwärme, die andere Mikroorganismen überwältigen und zersetzen. Dafür scheiden sie eine Reihe von Stoffwechselprodukten aus, darunter auch Sekundärmetaboliten mit antimikrobieller Wirkung. Das macht das Bakterium auch für die pharmazeutische Forschung im Hinblick auf neue Therapeutika seit vielen Jahren interessant.
Interessanterweise tötet M. xanthus nicht nur artfremde Bakterien, sondern lebt auch kannibalistisch: Die Mikrobe kann weniger fitte Individuen innerhalb der eigenen Population abtöten. Diesen injiziert sie mit einem raffinierten und unter Bakterien verbreiteten Injektionsapparat Giftstoffe. Wie ein Röhrchen aus komplizierten Proteinstrukturen ragt es aus der Zellhülle und kann die Zellwand des Opfers schlagartig durchstechen.
Dieses Eliminieren der schwächeren „Ausreißer“ einer Kolonie könnte den Zweck haben, die Homogenität zu sichern; diese Eigenschaft ist für das Gelingen des kollektiven Verhaltens von M. xanthus vermutlich besonders wichtig.

Kooperativer Überlebenskünstler

Mangelt es an Nährstoffen, strömen 100.000 und mehr Zellen aufeinander zu und bilden einen Fruchtkörper (Abb. 1). Dieser kann bei manchen Myxobakterien-Arten eine Bäumchen-Gestalt annehmen und bis zu 0,7 Millimeter groß werden; er ist dann leicht mit einer Lupe zu entdecken. Bei M. xanthus ist er kugelförmig und erreicht einen Durchmesser von etwa 0,08 Millimetern – das entspricht fast der Dicke eines Blattes Papier. Voraussetzung dafür ist eine ausreichend hohe Zelldichte.

Doch nicht alle Individuen verhalten sich gleichermaßen: Rund zehn Prozent verändern sich zu einer Spore. Etwa 30 Prozent werden zu stoffwechselaktiven Individuen außerhalb des Fruchtkörpers (periphere Stäbchen). Der überwiegende Anteil der Population stirbt ab und dient den Artgenossen als Nährstoffquelle.
Sporenbildung erfolgt nur innerhalb des Fruchtkörpers und kombiniert auf geniale Weise Überdauerung und Kooperation: das gemeinschaftliche Auskeimen der Sporen erlaubt, sobald die Lebensbedingungen sich bessern, die sofortige Bildung der vielzelligen Jagd-Schwärme.

Wir untersuchen die Prozesse, die mit diesen unterschiedlichen Lebensphasen einhergehen, bis ins molekulare Detail. Das umfasst die Änderungen der Genexpression, intrazelluläre Signalverarbeitung, die Kommunikation der Bakterien untereinander sowie ihre Koordination der Zellbewegungen und des Zellzyklus (Abb. 2).

Vielseitiges Bewegungstalent

Beweglichkeit ist für beide Lebensphasen von Myxococcus essenziell. Dabei verfügt M.​ xanthus über zwei Bewegungsformen: Zug und Gleiten. Bei der Zugbewegung wird der Bewegungsapparat am vorderen Zellpol zusammengebaut. Die bakteriellen Zellfortsätze (Pili) können sich verlängern, an Oberflächen anheften und dann wieder verkürzen. Dabei haften sie so stark, dass die Zellen durch ihre Verkürzung vorangezogen werden. Durch diese Bewegungsform und damit einhergehenden Zell-Zell Kontakten kann der Organismus Zellverbände bilden.

Die Maschinerie für die Gleitbewegung besteht aus drei bis vier Proteinkomplexen, die ebenfalls am vorderen Pol zusammengesetzt werden und entlang der Längsachse der Zelle aufgereiht sind. Sie durchspannen die Zellhülle und haften an der Substratoberfläche.Die aktiven Proteinkomplexe bewegen sich dann über einen noch unbekannten Mechanismus zum hinteren Pol. Durch die Anheftung wird die Zelle dabei nach vorne geschoben (Abb. 3). Dieser Bewegungsmechanismus erlaubt einzelnen Zellen auch unabhängig voneinander eine Bewegung.

Komplexes Verhalten braucht aufwändige Zellfunktionen

Gelegentlich wechseln die Zellen ihre Bewegungsrichtung, wobei der vormals vordere Pol zum neuen hinteren Pol wird. Bei einem Richtungswechsel ändern beide Motilitätssysteme synchron ihre Polarität, um eine erneute Vorwärtsbewegung in der entgegengesetzten Richtung zu garantieren. Das heißt, an beiden Polen können beide Bewegungsmaschinerien zusammengesetzt werden. Dass dies dennoch nur am jeweils vorderen Pol erfolgt, unterliegt einer komplexen Regulation Im Zentrum dieser Regulation steht ein Steuerprotein, das man v.a. von Eukaryoten kennt. Da die Regulation des Richtungswechsels sowohl für die Ausbildung der räuberischen Schwärmkolonien als auch für die Fruchtkörperbildung essenziell ist, ist die Funktions-, Interaktions- und Lokalisationsanalyse dieses Steuer-Proteins ein zentraler Bestandteil unserer aktuellen Forschung an M.​ xanthus. Die unterschiedlichen Facetten des „sozialen Bakteriums“ werden also auf vielen Ebenen untersucht. Dabei wird immer wieder Neues und Überraschendes entdeckt. Es lohnt sich, jenseits der klassischen Modellbakterien zu forschen!

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