Aus Eins mach Zwei
Forschungsinterview mit Mikrobiologen des MPI-TM über neueste Erkenntnisse zur bakteriellen Zellteilung
Sich teilen klingt zunächst ganz einfach. Wenn sich aber Bakterienzellen teilen, ähnelt das einer komplexen Tanzchoreografie. Damit jede Tochterzelle identisch und vollständig ist, müssen bestimmte Bewegungen in einer genau festgelegten Reihenfolge ablaufen. Doch wie machen die Zellen das? Und worauf kommt es an, wenn man die Abläufe genau verstehen will? Das erläutern Postdoktorand Dr. Ismath Sadhir und Forschungsgruppenleiter Dr. Seán Murray aus der Abteilung „System- und synthetische Mikrobiologie“.
Dr. Ismath Sadhir, Sie haben in ihrer Doktorarbeit als Teilnehmer der internationalen Graduiertenschule IMPRS µ-life in Dr. Seán Murrays Forschungsgruppe untersucht, wie Bakterienchromosomen bei der Zellteilung verteilt werden. Welche Aspekte Ihrer Arbeit finden Sie besonders spannend?
Mich fasziniert dieses Forschungsfeld, weil es eine zentrale Bedeutung für das Leben hat. Die exakte Organisation und Verteilung der Chromosomen während der Zellteilung ist für Bakterien überlebenswichtig. Ihre Untersuchung wirft ein neues Licht auf ganz grundlegende Prozesse wie Zellteilung und DNA-Replikation.
Ein weiterer Aspekt ist die mögliche Bedeutung dieser Grundlagenforschung. Das Verständnis dieser Prozesse kann uns Aufschluss darüber geben, wie Bakterien wachsen, sich anpassen und auf Umweltveränderungen reagieren. Dieses Wissen ist nicht nur für die Grundlagenforschung von zentraler Bedeutung, sondern hat auch praktische Auswirkungen auf viele Bereiche, die uns Menschen betreffen, wie die Entwicklung von Antibiotika, die Behandlung bakterieller Infektionen und die Biotechnologie. Wenn wir diese Mechanismen besser verstehen, können wir den Herausforderungen in Medizin, Landwirtschaft und Industrie, in denen Bakterien eine zentrale Rolle spielen, besser begegnen.
Sie sind Erstautor einer Studie, die kürzlich in dem Fachblatt Nature Communications erschien. Können Sie uns in wenigen Worten sagen, worum es geht?
Bakterielle Chromosomen sind in der Zelle dynamisch und räumlich stark organisiert. In der langsam wachsenden Escherichia coli befindet sich das Chromosomenende zunächst am neuen Pol. Während der Replikation muss er daher zur Zellmitte wandern, um das gleiche Muster in den Tochterzellen zu reproduzieren. In unserer Studie haben wir Hochdurchsatz-Zeitraffer-Mikroskopie eingesetzt, um diesen Übergang, seinen Zeitpunkt und den Zusammenhang mit der Chromosomenaufteilung zu studieren.
Dr. Seán Murray, Sie leiten die Forschungsgruppe „Mechanims of Spacial Organisation“. Können Sie Ihren methodischen Ansatz beschreiben?
Traditionelle Methoden beruhen oft auf Momentaufnahmen, sozusagen Schnappschüssen. Hier haben wir es mit einem hochdynamischen Prozess zu tun, den wir kontinuierlich überwachen wollten. Deshalb haben wir die Hochdurchsatz-Zeitraffermikroskopie mit einem mikrofluidischen Gerät, der so genannten "Mother-Machine", kombiniert.
Mit dieser Technik können wir nicht nur Zehntausende von Zellzyklen in einem einzigen Experiment beobachten und abbilden, sondern sogar kontinuierlich über mehrere Tage. Sie liefert damit einen dynamischeren und gleichzeitig detaillierteren Blick auf die bakterielle Chromosomenorganisation. Indem wir den genauen Zeitpunkt und die Abfolge der Bewegung verschiedener Regionen des Chromosoms während der Zellteilung erfassten, konnten wir Details entdecken, die bei herkömmlichen Methoden möglicherweise übersehen wurden.
Was genau haben Sie entdeckt?
Ismath Sadhir: Wir entdeckten, dass zwischen zwei Regionen des Chromosoms eine bisher unbekannte, komplexe Kopplung besteht, und zwar zwischen der Origin-Region (ori) und der Terminus-Region (ter). „Ori“ ist der erste und „ter“ der letzte Teil des E. coli-Chromosoms, die in einem Zellzyklus verdoppelt und verteilt werden. Wir fanden heraus, dass die Bewegung von „ter“ vom neuen Pol der Zelle zur Zellmitte eng mit dem Abschluss der „Ori“-Segregation gekoppelt ist, und dass diese Kopplung ist für die stabile Positionierung von „ter“ zwingend erforderlich ist.
Zweitens, und das war ziemlich spannend, zeigen unsere Ergebnisse deutlich, dass das E. coli-Chromosom während des langsamen Wachstums in Längsrichtung organisiert ist (oder sein kann). Dies widerspricht der vorherrschenden Auffassung, dass das Chromosom quer organisiert ist. Ohne die neue Methodik hätten wir das nicht erkannt.
Was waren dabei die größten Herausforderungen?
Ismath Sadhir: Eine Hürde war anfangs die Einrichtung des Mikrofluidiksystems. Doch dank der Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen in der Abteilung konnten wir eine Lösung finden. Dazu kam, dass die vorhandenen Protokolle in der Regel für eine kurzfristige Bildgebung gedacht sind; wir mussten die Bildgebung für eine langfristige, kontinuierliche Bildgebung von Bakterien durch Ausprobieren optimieren. Eine andere Herausforderung war die Einrichtung der automatisierten Bildanalyseplattform für die Auswertung der Zeitrafferaufnahmen. Hier erwies sich die starke Interdisziplinarität unserer Gruppe als Vorteil.
Entsprachen die Ergebnisse denn Ihren Erwartungen?
Ismath Sadhir: Wir waren überrascht, dass sich Zellen mit gestörter Chromosomenaufteilung immer noch ähnlich verhalten wie normale Zellen, wobei jede Tochterzelle ein vollständiges Chromosom erbt, aber mit einer umgekehrten Ausrichtung innerhalb der Zelle. Dies widerspricht der bisherigen Annahme, dass die Segregation des Ursprungs, der den Prozess der Chromosomenverteilung einleitet, für die Verteilung des gesamten Chromosoms entscheidend ist.
Welche Pläne haben Sie für Ihre zukünftige Arbeit?
Seán Murray: Wir verwenden derzeit die Methoden aus unserer E. coli-Studie, um die Chromosomenorganisation in Bacillus subtilis zu untersuchen, wo man von einer anderen Chromosomenanordnung ausgeht. Darüber hinaus wollen wir den Einsatz der "Mother machine" auf die Untersuchung verschiedenster Mikroben erweitern, nicht nur im Hinblick auf Chromosomenorganisation. Die Fähigkeit dieser Technik zur erweiterten Bildgebung über zahlreiche Zellzyklen hinweg ermöglicht es, bei Bakterien kleinere Subpopulationen zu analysieren, die oft übersehen werden.
Das Verständnis dieser Subpopulationen ist jedoch überaus wichtig, da sie Einblicke in die genetische Variabilität, die Resistenzmechanismen und die Anpassungsstrategien von Organismen innerhalb mikrobieller Gemeinschaften bieten können. Und das könnte wiederum zu Durchbrüchen in den Bereichen mikrobielle Ökologie, Krankheitsentstehung und Behandlungsstrategien beitragen.