Wie Bakterien ihre Spritzen aufziehen

Krankmachende Bakterien nutzen molekulare " Shuttle-Services ", um ihren Injektionsapparat mit dem passenden Inhalt zu füllen

3. Januar 2024

Viele bakterielle Krankheitserreger benutzen Spritzen im Kleinstmaßstab, um Zellen ihrer Wirte, beispielsweise des Menschen, zu beeinflussen und sich im Körper ausbreiten zu können. Dabei müssen sie ihre Spritzen immer mit dem passenden Injektionsmittel befüllen. Eine Technik, mit der sich die individuelle Bewegung von Proteinen verfolgen lässt, hat nun enthüllt, wie Bakterien diese anspruchsvolle Aufgabe lösen.

Krankmachende Bakterien der Gattung Salmonella oder Yersinia sind in der Lage, mit winzigen Schussapparaten schädigende Proteine gezielt in Wirtszellen zu injizieren - zum Leidwesen der Infizierten. Der Injektionsmechnismus dieser sogenannten Typ III-Sekretions-Systeme, kurz auch „Injektisome“, wird jedoch nicht nur im Hinblick auf die Krankheitsbekämpfung erforscht. Wären Bau und Funktion des Injektisoms genau bekannt, könnte man es kapern, um gezielt bestimmte Wirkstoffe in Zellen – zum Beispiel Krebszellen – einzuschleusen. Tatsächlich konnte die Struktur der Injektisome mittlerweile aufgeklärt werden. Unklar blieb es jedoch bislang, wie die Bakterien ihre Spritzen beladen, damit die richtigen Proteine zum richtigen Zeitpunkt injiziert werden.

Ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Andreas Diepold vom Max Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg und Prof. Dr. Ulrike Endesfelder von der Universität Bonn ist es nun gelungen, Antworten auf diese Frage zu finden. Mobile Bestandteile des Injektisoms durchkämmen die Bakterienzelle auf der Suche nach den Proteinen, die injiziert werden sollen, sogenannten Effektoren. Treffen sie auf einen Effektor, liefern sie ihn, wie ein Shuttle-Bus, an der Pforte der Injektionsnadel ab (Abb. 1).

„Wie Proteine der Sortierplattform im Zytosol an Effektoren binden und die Ladung zum Export-Gate des membrangebundenen Injektisoms liefern, erinnert an die Abläufe an einem Fracht-Terminal“ erklärt Dr. Stephan Wimmi, als Postdoktorand in Andreas Diepolds Labor und Erstautor der Studie. „Wir denken, dass dieser Shuttle-Mechanismus dazu beiträgt, die Injektion effizient und spezifisch zugleich zu machen – schließlich müssen die Bakterien schnell die korrekten Proteine injizieren, um nicht beispielsweise vom Immunsystem erkannt und eliminiert zu werden.“

Für diesen Einblick in den wichtigen Lademechanismus des Injektisoms mussten die Forschenden neue Techniken anwenden. „Herkömmliche Methoden, mit denen man normalerweise nachweist, dass Proteine einander binden, haben für diese Frage nicht funktioniert – möglicherweise, weil die Effektoren nur kurz gebunden und dann direkt injiziert werden“, erklärt Andreas Diepold, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut. „Deshalb mussten wir diese Bindung vor Ort und Stelle in den lebenden Bakterien untersuchen.“

„Zur Analyse der Interaktionen nutzten wir zwei neuartige Ansätze, die in lebenden Zellen funktionieren: proximity labeling und single particle tracking“, fügt Ulrike Endesfelder hinzu, deren Forschungsgruppe an drei Orten an dem Projekt arbeitete, in Marburg, der Carnegie Mellon University in Pittsburgh und in Bonn. Das „proximity labeling“, bei dem ein Protein seine unmittelbaren Nachbarn wie mit einem Pinsel markiert, zeigte den Forschenden, dass die Effektoren im Bakterium an die mobilen Injektisom-Bestandteile binden. Diese Bindung wurde dann mittels „single particle tracking“, einer hochauflösenden Mikroskopiemethode, die einzelne Proteine verfolgen kann, genauer untersucht. Erst diese Methoden, die das Team als „in situ biochemistry“, also biochemische Untersuchungen an Ort und Stelle, bezeichnet, erlaubten den Durchbruch, der jetzt im Fachjournal „Nature Microbiology“ publiziert wurde.  

Mit Hilfe ihrer Arbeitsmethode wollen die Forschenden jetzt auch weitere Mechanismen untersuchen, die Bakterien für Infektionen benutzen, wie Andreas Diepold sagt. „Je mehr wir darüber wissen, wie Bakterien diese Systeme während einer Infektion einsetzen, desto eher können wir verstehen, wie man diese Systeme beeinflussen kann – sei es, um Infektionen zu verhindern, oder die Systeme umzubauen, um sie in Medizin oder Biotechnologie selbst zu nutzen.“

 

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