Konzentration auf das Wesentliche

Neue Emmy Noether-Forschungsguppe "Cell-free synthetic Biology"

Synthetische Biologie hat das Ziel, neue biologische Funktionen zu erzeugen. Dabei braucht es Ingenieursdenken: Vorhersehbar, quantifizierbar, modular – das sind die Eigenschaften, die künstliche Systeme aufweisen sollten. Für Henrike Niederholtmeyer, frischgebackene Leiterin der neuen Emmy Noether-Gruppe „Cell-free synthetic Biology“ steht jedoch der Erkenntnisgewinn im Vordergrund: wieviel Ordnung braucht eine Zelle? Und wie funktionieren biologische Netzwerke?

Henrike, kann man im künstlichen System etwas über natürliche Systeme lernen?

In der Biochemie macht man schon seit Jahrzehnten Experimente an isolierten Enzymen und hat daraus sehr viel gelernt über die Mechanismen und die grundlegenden Prozesse in Zellen.  Wir versuchen eigentlich dasselbe - nur dass wir uns nicht nur einzelne Biomoleküle anschauen, sondern daraus ganze Netzwerke zusammenbauen. So wollen wir besser verstehen, wie regulatorische Netzwerke steuern, welche Prozesse wann und wo in einer Zelle ablaufen.

Und da müssen wir wirklich noch viel lernen. Das merkt man bei der Synthetischen Biologie in Zellen immer wieder. Das Problem ist, dass es mit der Vorhersehbarkeit oft hapert. Biologische Systeme sind dafür einfach zu komplex. Hier kommen zellfreie Systeme ins Spiel. Wir bringen nur gut charakterisierte Elemente in einem Reagenzglas zusammen. Man nimmt also nur Teile, die man versteht.

Wie kann man sich das vorstellen? Alles zusammen in einem Reagenzglas, wie die berühmte „Ursuppe“?

Ja, ein bisschen schon. Man kann zum Beispiel die mehr als 30 notwendigen Komponenten für Transkription und Translation in einem Reagenzglas zusammenpacken, und es funktioniert. Bei uns ist das Ziel aber nicht die Produktion von einem Protein, sondern die Regulation davon.Dafür bauen wir genetische Netzwerke zusammen, wie sie auch in der in der Natur zu finden sind, aber in vereinfachter Form. Die Bestandteile können aus ganz unterschiedlichen Organismen kommen. Der Vorteil ist dann, dass die künstlichen Netzwerke nicht so kompliziert sind und dass wir sie nach unseren Wünschen programmieren können.

Mit Netzwerken arbeiten, ist das nicht sehr physikalisch/mathematisch geprägt? Kommst Du aus der Mathematik?

Nein ich habe Biologie studiert, fand es aber schon immer spannend, biologische Prozesse quantitativ zu verstehen und Technologien zu entwickeln.So bin ich dazu gekommen, mit Microfluidics zu arbeiten.

Microfluidics, das heißt: Du hast Alternativen zur „Ursuppe“ gesucht.

Ja, komplexere Systeme funktionieren nicht gut im Reagenzglas. Ich arbeite zum Beispiel mit genetischen Oszillatoren, ihre Expression ist rhythmisch und dynamisch über einen langen Zeitraum. In einem Reagenzglas ist die Reaktionszeit limitiert. Produkte häufen sich an, ATP wiederum wird verbraucht, nach 2-3 Stunden funktioniert nichts mehr.

Ich habe deshalb schon während meiner Doktorarbeit einen mikrofluidischen Reaktor entwickelt, in den mit Ventilen Moleküle hinein- und herausgepumpt werden. Der fasst 30 Nanoliter, ist also immer noch viel größer als eine Zelle, aber näher dran als ein Reagenzglas, und vor allem verlängert er die Reaktionszeit. Am Ende dieser Arbeit stand ein microfluidischer Chip für die Charakterisierung von biologischen Netzwerken. Der Chip ist ein Objektträger, darauf ist ein transparentes Polymerstück aufgeklebt, das wir selbst herstellen. Darin sind 100 Micrometer kleine Kanäle mit Ventilen, die man gezielt öffnen und schließen kann. Über die Expression von Fluorenzenzproteinen lässt sich dann nachverfolgen, was in der zellfreien Reaktion im Chip gerade passiert.

Und woran arbeitest Du jetzt? Was sind Deine Pläne?

In meiner PostDoc-Zeit habe ich mich künstlichen Zellen zugewandt, wo bestimmte Reaktionen in Kompartimenten lokalisiert werden können. Ich habe künstliche Zellen und Organellen entwickelt, um eine räumliche Ordnung zu schaffen.

Wir nennen es künstliche Zelle, aber es hat mit einer lebenden Zelle eigentlich nicht viel gemeinsam. Die Zelle teilt sich ja und wächst. Unsere künstlichen Zellen tuen das nicht, was auch einiges einfacher macht. Dadurch dass wir auch mit Natur-fremden Materialien arbeiten, sind unsere künstlichen Zellen stabiler, wir können die Parameter besser kontrollieren und gezielte Änderungen vornehmen.

Was ich jetzt gern machen möchte, ist es, diese künstlichen Zellen mit genetischen Netzwerken zu programmieren, und zu schauen, wie sie in Zellgemeinschaften zusammenarbeiten. Dabei interessiert mich, wie Muster in Zellgemeinschaften entstehen. Man denke an die Embryoalentwicklung, wo auch Muster entstehen.

Was hat Dich an Marburg als Forschungsstandort gereizt?

Hier passt vieles gut zusammen: Tobias Erbs Gruppe arbeitet mit biochemischen zellfreien Systemen, Victor Sourjiks Gruppe forscht an regulatorischen Netzwerken, und Sean Murray und Knut Drescher zum Beispiel entwickeln mathematische Modelle für Musterbildung. Und allgemein, durch SYNMIKRO kommen hier viele Gruppen mit Interesse an der Synthetischen Biologie zusammen. Das ist eine tolle Umgebung für meine Gruppe.

Für den Aufbau Deiner Gruppe, welche Disziplinen sind da relevant?

Am besten wäre es, eine gute Mischung zu haben, weil es hier Methoden aus allen Feldern braucht. Wir arbeiten mit den grundlegenden Methoden der Molekularbiologie und Biochemie. Interesse an der Entwicklung von Mikrofluidik-Technologie und der Modellierung sind aber auch hilfreich.

Und was magst Du am liebsten an Deinem Forschungsgebiet?

Was ich schön finde, ist, dass es so kreativ ist. Man kann biologische und nicht-biologische Komponenten in ganz neuen Kombinationen zusammenbauen und neue Funktionen erzeugen. Es gibt in dem Gebiet einfach noch so viel zu entwickeln.

Und dann geht man den Weg des Machbaren?

Ja, man probiert viele Dinge aus. Und vieles funktioniert auch erstmal nicht. (lacht). Cool ist aber, dass man jetzt Zugriff auf fast unendlich viele Sequenzen von den verschiedensten Organismen hat und diese biologischen Bausteine dann auch noch mit künstlichen Materialien kombinieren kann. Wir haben zum Beispiel Polymere verwendet, die besonders stabil und porös sind. Man nimmt das, was am besten funktioniert. Da unsere synthetischen Systeme nicht leben, wachsen und sich teilen müssen, geht das.

Was erhoffst Du Dir von den nächsten Jahren?

Dass wir einen weiteren Schritt machen können von den Reagenzgläsern hin zu zellfreien Systemen, wo man mit regulatorischen Netzwerken steuern kann, was passiert, und dass wir mit Materialen mehr Ordnung in die „Suppe“ bringen. Irgendwann können wir dann vielleicht auch die Komplexität einer Zelle widerspiegeln. Man weiß ja noch gar nicht, wieviel Ordnung eine Zelle wirklich braucht. Solche Fragen kann man am synthetischen System erforschen.

Nach viereinhalb Jahren Kalifornien wieder in Deutschland, war das schwer?

Nein, das geht. - In Kalifornien ist alles eher trocken, hier ist alles so grün! Das fand ich immer schon schön, wenn ich meine Eltern in Deutschland besuchte.

Henrike, danke für das Interview!

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