Eine neue Ordnung für die Bierhefe
Ein künstliches Chromosom vereint alle t-RNA-Gene für die Produktion von Proteinen
Forschende arbeiten seit Jahren daran, das Genom, genauer gesagt, die Chromosomen der Bierhefe synthetisch nachzubauen. Nun ist es gelungen, sämtliche Transfer RNA-Gene in einem künstlichen Chromosom geordnet zu vereinen. Das Ergebnis setzt einen Meilenstein in der Entwicklung des ersten synthetischen Eukaryontengenoms und eröffnet neue Wege für die Grundlagenforschung.
Einer Forschungskooperation unter Leitung des Manchester Institute of Biotechnology (MIB) unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie ist es gelungen, ein tRNA-Neochromosom der Bierhefe herzustellen, welches in der Natur nicht vorkommt.
Dieser Erfolg setzt einen Meilenstein im internationalen synthetischen Hefe Genom Projekt (Sc2.0). Das Konsortium hat es sich zum Ziel gesetzt, alle 16 natürlichen Chromosomen der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae synthetisch herzustellen und zu einer vollständig synthetischen Zelle zu kombinieren.
Hefen sind aus industriellen biotechnologischen Prozessen nicht mehr wegzudenken. Sie produzieren Biokraftstoffe, Pharmazeutika, Aroma- und Duftstoffe und kommen seit Jahrtausenden im Brotbacken und Bierbrauen zum Einsatz. Während die Konstruktion eines künstlichen Genoms bei Bakterien bereits gelang, ist die Situation bei Bierhefe weitaus komplizierter. Als „Eukaryont“ besitzt sie, wie der Mensch, einen Zellkern, und ihre Gene sind in mehreren Chromosomen organisiert. Die Genomgröße ist in der Regel ebenfalls um ein vielfaches größer.
Doch die Organisation innerhalb des Genoms ist begrenzt, erklärt Daniel Schindler, Mit-Erstautor der Studie und Leiter einer Arbeitsgruppe am Marburger Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie und dem Zentrum für Synthetische Mikrobiologie SYNMIKRO.
„Obwohl die Gene funktional zusammenhängen, sind sie im natürlichen Genom über alle Chromosomen hinweg verstreut. Das liegt daran, dass Evolution nicht gerichtet verläuft, sondern dass jeder neue Zustand auf dem vorherigen aufbaut. Mit Synthetischer Biologie können wir die Evolution sozusagen auf Null setzen. Indem wir die Chromosomen ganz neu bauen, from scratch, wie man im Englischen sagt, können wir alle relevanten tRNA-Gene zusammenbringen, sie sortieren und Ordnung schaffen.“ Die Auswahl nur der notwendigen Gene macht die Bakterienstämme robuster. Darüber hinaus lässt sich die Kopienanzahl, also die Menge der Gene, die für ein Produkt kodieren, kontrollieren. Ballast, der das Zellwachstum bremsen würde, wird vermieden.
Die neuen Chromosomen schaffen auch ganz neue Möglichkeiten für die Grundlagenforschung, denn sie können auch Informationen speichern, die in der Natur nicht vorkommen. Nun kann man herausfinden, welche Gene wirklich notwendig sind, oder welche Funktionen sie wirklich haben. Auch können die Forschenden gezielt neue Stämme erzeugen. „Man kann zum Beispiel Gene identifizieren, die für die Toleranz bestimmter Salzkonzentrationen oder Temperaturen verantwortlich sind, und die Eigenschaften der Stämme verbessern,“ erklärt Daniel Schindler.
Der Nachbau aller Chromosomen ist nun abgeschlossen und wurde bereits in mehreren Artikeln in renommierten Fachzeitschriften publiziert. Das internationale Team meldete auch die erfolgreiche Kombination von sechseinhalb synthetischen Chromosomen in einer funktionierenden Zelle. Das tRNA-Neochromosom hat die Aufgabe der Speicherung und Organisation aller 275 Kern-tRNA-Gene der Hefe. Es soll später in eine vollsynthetische Hefe eingebaut werden, aus der zuvor die tRNA-Gene aus den anderen synthetisierten Chromosomen entfernt werden.
"Das Bemerkenswerte an diesem Projekt ist das Ausmaß der Zusammenarbeit und die Interdisziplinarität, mit der es durchgeführt wird. Nicht nur unsere Experten hier am MIB sind beteiligt, sondern Experten aus der ganzen Welt, von Biologie und Genomik bis hin zu Informatik und Bioengineering,“ sagt Prof Cai, Leiter der Abteilung Synthetic Genomics am MBI und internationaler Koordinator des Projektes Sc2.0.
Daniel Schindler fügt hinzu: "Das internationale Projekt Sc2.0 umfasst Grundlagenforschung zur Erweiterung unseres Verständnisses der genomischen Grundlagen, bereitet aber auch den Weg für künftige Anwendungen in der Biotechnologie, und treibt Technologieentwicklungen voran.“ Dazu tragen auch Entwicklungen in der Molekulargenetik und Hochdurchsatz-Technologien bei, wie Daniel Schindler betont. „Früher lag unser Ziel am Rande des Machbaren und war sehr teuer. Nun können wir dieselbe Arbeit in einem Viertel der Zeit und deutlich günstiger durchführen.“