Das Enzym Nitrogenase: Besondere Fähigkeiten für eine nachhaltige Biotechnologie
Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie
Einleitung
Obwohl Stickstoff Bestandteil aller Proteine ist, können wir die 78 % Stickstoff der Atemluft nicht nutzen. Die beiden Stickstoffatome (N2) sind über eine Dreifachbindung fest miteinander verbunden und stehen damit chemischen Reaktionen nicht zur Verfügung. Dass dieser Stickstoff in eine für Pflanzen – und damit auch für uns Menschen - verwertbare Form gebracht wird, verdanken wir Mikroorganismen. Denn nur ein mikrobielles Enzym kann die Dreifachbindung „knacken“: die Nitrogenase. Damit können Bakterien den Stickstoff der Luft in bioverfügbare Stickstoffverbindungen wie Ammoniak umwandeln. Doch der Mechanismus der Nitrogenasen und ihre katalytischen Fähigkeiten sind noch nicht vollständig verstanden und erforscht. Hier steckt ein großes Potenzial für nachhaltige Innovationen in der Biotechnologie.
In unserer Arbeitsgruppe Mikrobielle Metalloenzyme wollen wir verstehen, wie die Nitrogenase funktioniert, und vor allem, welche ihrer strukturellen Eigenschaften maßgeblich ihre Funktionen bestimmen: Welchen Einfluss haben die einzelnen Untereinheiten des Nitrogenasekomplexes? Und welche Rolle spielen die unterschiedlichen metallischen Kofaktoren des enzymatisch-aktiven Zentrums? Im Herzen der Nitrogenasen sitzen die größten uns bekannten metallischen Kofaktoren, bestehend aus neun Schwefel-, einem Kohlenstoff-, sieben Eisen und einem Molybdän- oder Vanadium-Atom, das auch durch ein weiteres Eisenatom ersetzt sein kann.
Die Nitrogenase kann auch CO2 verarbeiten
Bereits vor zehn Jahren entdeckte ich, dass Nitrogenasen nicht nur Stickstoff, sondern auch Kohlendioxid (CO2) verarbeiten können (Abb. 1). Sie reduzieren CO2 zu Kohlenwasserstoffen, wie zum Beispiel Methan (CH4) oder Ethylen (C2H4; [1]). Damit sind sie die einzigen uns bekannten Enzyme, die das Treibhausgas direkt in Kohlenwasserstoffketten umwandeln können. Vor allem im Hinblick auf die Klimakrise, verursacht durch den steigenden CO2-Gehalt in der Atmosphäre, und den Bedarf nach klimaneutralen Wertstoffkreisläufen ist diese Aktivität von hoher Relevanz.

Das Ziel meines Teams ist es, die atomaren Grundlagen dieser Aktivität genau zu erforschen. Im letzten Jahr gelang es uns, die Struktur der Eisen (Fe)-Nitrogenase des Purpurbakteriums Rhodobacter capsulatus mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie aufzuklären [2]. Dabei konnten wir zeigen, dass der Metall-Kofaktor im aktiven Zentrum – im Gegensatz zu Molybdän- und Vanadium-Nitrogenasen – ausschließlich Eisen enthält. Zudem besitzt die Eisen-Nitrogenase eine besondere Architektur, die im Vergleich zur Molybdän-Nitrogenase, zu alternativen Interaktionen der Nitrogenase Untereinheiten führt. Damit ist wahrscheinlich auch der Elektronentransport zwischen den sechs enthaltenen Metall-Kofaktoren verändert, was vielleicht die einzigartige katalytischen Aktivität der Eisen-Nitrogenase ausmacht.
Uns interessiert aber nicht nur der Mechanismus und die Aktivierung von CO2 durch Nitrogenasen, sondern auch dessen ökologische Rolle: Findet der Prozess auch in der Natur statt, und falls ja, welchen Einfluss hat er? Tatsächlich wiesen wir in diesem Jahr nach, dass R. capsulatus-Zellen in Gegenwart von N2 und anhand ihrer Fe-Nitrogenase unter den aktuell herrschenden CO2-Konzentrationen das CO2 in Formiat und Methan umwandeln [3]. Das zeigt, dass Nitrogenasen nicht nur für die Stickstoffumwandlung zuständig sind, sondern auch in der Natur CO2 als Substrat nutzen. Die Fe-Nitrogenase ist also nicht nur eine Nitrogenase, sondern auch eine CO2-Reduktase!
Eine Chance zur Entwicklung neuer biotechnologischer Prozesse

Die von der Fe-Nitrogenase aus CO2 gebildeten Produkte sind Kohlenstoffbausteine für andere Mikroorganismen und können so ganze Lebensgemeinschaften beeinflussen. Andererseits ist die Fähigkeit der Nitrogenase, CO2 direkt aus der Luft und ohne Anreicherung in Formiat, also Ameisensäure, und kurzkettige Kohlenwasserstoffe umzuwandeln, eine Chance zur Entwicklung neuer biotechnologischer Prozesse. Hier wäre die grüne Formiat-basierte Bioökonomie zu nennen, bei der Formiat als Substrat für Bakterien oder Hefen dienen kann, um Enzyme, aber auch Naturstoffe zu produzieren. Die Kohlenwasserstoffe können wiederum direkt als brennbare Kraftstoffe verwendet werden, da Methan der Hauptbestandteil von Erdgas ist. Ungesättigte Kohlenwasserstoffe wie Ethylen oder Propylen dienen auch als Ausgangsstoff für die chemische Industrie, um Kunststoffe, Dämmstoffe sowie Waschmittel und pharmazeutische Präparate herzustellen. Die Realisierung solcher biotechnologischen Prozesse anhand eines phototrophen Organismus wie R. capsulatus, der das Sonnenlicht als Energiequelle nutzt, könnte eine kohlenstoffneutrale und nachhaltige Umwandlung von Kohlenstoffabfällen in Chemikalien ermöglichen (Abb. 2).
Ausblick
Um solche Prozesse zu etablieren, müssen sowohl die Nitrogenasen selbst als auch der Metabolismus der Produktionsstämme weiter optimiert werden. Momentan erhöhen wir die Spezifität für die CO2-Reduktion und verändern gleichzeitig mittels gerichteter Evolution das Produktprofil hin zu Ethylen und Propylen. Andererseits haben wir den gesamten Metabolismus von R. capsulatus im Visier, um die Biosynthese der Nitrogenasen und deren Energie- und Elektronenversorgung zu optimieren. So konnten wir zeigen, welche der Elektronentransport-Proteine, nämlich Ferredoxine, für die Nitrogenase-Leistung entscheidend sind [4]. Unter den sieben verschiedenen Ferredoxinen, die R. capsulatus produziert, sind Ferredoxin N und C der „Flaschenhals“ der Energieversorgung und damit eine mögliche Stellschraube zur Verbesserung der Leistung.
Nitrogenasen sind faszinierende, aber auch äußerst komplizierte Metalloenzyme mit einem komplexen Reaktionsmechanismus. Es gilt noch viel zu lernen und zu verstehen. Derzeit befinden wir uns erst in den Anfängen des Nitrogenase-Engineerings. Wir arbeiten daran, die Stellschrauben zur Optimierung ihrer bemerkenswerten Aktivität zu entdecken, zu verstehen und damit das volle Potenzial der Nitrogenasen auszuschöpfen.